Müssen Großeltern sich an alle Regeln halten?

Ein Enkelkind verändert die Familienkosntellation – und bringt neue Erziehungsregeln mit sich.

Ein Enkelkind wirft einiges in der Familienkonstellation durcheinander. Plötzlich ist die Tochter oder der Sohn nicht mehr nur Kind, sondern auch Elternteil. Mit eigener Familie und eigenen Erziehungs-Regeln. Familienberaterin Claudia Hillmer gibt Tipps, wie man diese am besten respektiert vor allem dann, wenn man sie für Quatsch hält.


Jeder Mensch hat das Recht, mit den eigenen Kindern Erfahrungen zu sammeln.


 

Beate ist hin- und hergerissen. Es ist der erste warme Frühlingstag, andere Großeltern und Eltern verabreden sich in der KiTa-Garderobe gerade zum spontanen Eis essen. Die Kinder jubeln aufgeregt, ziehen sich schnell wie der Blitz selbst an (plötzlich klappt das ganz ohne Murren) und warten abfahrtbereit vor der Tür. Nur Beates vierjährige Enkelin Hannah steht noch in ihren Puschen da und guckt zum Boden. Sie hat unter der Woche Süßigkeiten-Verbot. Eine Regel ihrer Mutter, Beates Tochter, an die sich die ganze Familie strikt hält. Die ganze Familie? Nein, entscheidet Beate in diesem Moment. „Zieh deine Schuhe an, wir gehen mit zum Eis essen.“ Hannah strahlt, guckt aber noch ungläubig. Deshalb fügt Beate hinzu: „Ist eine Oma-Ausnahme.“ In Gedanken überlegt sie schon, wie sie das ihrer Tochter beibringt.

Für Großeltern ist es nicht immer leicht, die Regeln der Eltern zu akzeptieren und selbst konsequent durchzuziehen. Eine einmalige Eis-Ausnahme ist natürlich die eine Sache. Regelmäßige Verstoße gegen bestehende Familien-Richtlinien eine ganz andere. Wenn zum Beispiel Kinder, die grundsätzlich zuckerfrei oder vegetarisch erzogen werden, bei den Großeltern wie selbstverständlich Süßigkeiten und Hot Dogs essen dürfen, ist Familienstreit vorprogrammiert. Vor allem dann, wenn Ihr Kind oder Schwiegerkind Regeln aufstellt, deren Sinn sich Ihnen nicht erschließt, empfiehlt Familienberaterin Claudia Hillmer ein Gespräch: „Melden Sie auf jeden Fall erst einmal zurück, dass Sie die Regel verstanden haben“, lautet ihr erster Rat. „Und haken Sie dann nach: ‚Dir ist es sehr wichtig, dass Hannah keine Süßigkeiten isst. Warum?‘ Hören Sie sich die Antwort gut an und schlafen Sie eine Nacht darüber. Hinter solchen Regeln stecken die Überzeugungen und Ängste der eigenen Kinder und es lohnt sich, diese kennenzulernen. Gibt es vielleicht mittlerweile stichhaltige wissenschaftliche Studien? Oder machen sich die jungen Eltern Sorgen, dass sie ihre Kinder durch eine falsche Ernährung einem überhöhten Krebsrisiko aussetzen? Wenn ich einem Menschen nahe sein will, muss ich wissen und verstehen, was in bewegt. Wenn ich das nur als ‚Spinnerei‘ abtue, fühlen sich die jungen Eltern nicht ernst genommen.“

Eltern müssen ihre Erziehung heute ganz anders verteidigen

Spielzeugfreie KiTas, zuckerfreie Ernährung, breifreie Beikost und vieles mehr: Einige moderne Erziehungsansätze können aus Sicht der Großeltern fragwürdig wirken. Claudia Hillmer bricht eine Lanze für die heutige Eltern-Generation: „Früher war man sich in Vielem einfach viel mehr einig. Zum Beispiel, wenn es um die Milchmahlzeiten ging: Gestillt wurde alle 4 Stunden. Fertig. Das haben ganze Landstriche so gemacht.“ Heute gibt es zahlreiche Meinungen und Erkenntnisse zum Thema Ernährung im ersten Lebensjahr. „Eltern müssen sich da ganz anders positionieren. Sie machen nicht einfach nur. Sie müssen auch oft erklären, warum sie etwas so machen, wie sie es machen. Lesen sie ‚Den kleinen Tyrannen‘ von Kinderpsychiater Michael Winterhoff oder vertrauen sie Familientherapeut Jesper Juul, füttern sie breifreies Fingerfood oder pürierte Pastinake, lassen sie die Kinder im eigenen oder im Familienbett schlafen, impfen sie und wenn ja, was und wann, erziehen sie rein bedürfnisorientiert oder braucht ein Kind Grenzen und wenn ja welche, wann und von wem?“, gibt Claudia Hillmer einen kleinen Einblick in die scheinbar unzähligen Entscheidungen, die Eltern heute fällen müssen. Sie gibt zu bedenken: „Viel Information und Wissen heißt auch, die Verantwortung zu haben, sich richtig zu entscheiden. Das ist schon im Zusammensein der jungen Eltern nicht einfach und bedeutet oft, sich gegenüber anderen Eltern rechtfertigen zu müssen. Man sucht sich passende Kitas und Kinderärtze. All das ist anstrengend und macht manchmal dünnhäutig, da ist es einfach nur wohltuend, wenn die Großeltern diese Anstrengung anerkennen und echtes Interesse zeigen. Von einem solchen Gespräch profitieren immer beide Seiten.“


Großeltern können ihre Ruhe und ihr Wissen nutzen.


Die Familienberaterin appeliert daran, sich an die eigenen ersten Jahre mit Kind zu erinnern: „Fragen Sie sich: Wie ging es mir selbst als frischgebackenes Elternteil? Wie sicher oder unsicher war ich mir in dem, was ich getan und entschieden habe?“ Diese Fragen sind der beste Weg, das eigene Kind zu verstehen und die Beziehung zu ihm wachsen zu lassen. „Großeltern können ihre Ruhe und ihr Wissen nutzen, um eine Stütze in der neue Familienkonstellation zu sein“, erklärt Claudia Hillmer. „Dazu gehört aber auch, Fehler in der Erziehung zuzulassen“, führt sie fort. Auch dann, wenn Sie selbst diesen Fehler einst begangen haben und ihn ihrem Kind heute ersparen wollen. Denn, so erklärt die Familienberaterin weiter: „Jeder Mensch hat das Recht, mit den eigenen Kindern Erfahrungen zu sammeln.“

Erst das Kind, dann das Enkelkind

Ein regelmäßiges Kritisieren der Erziehungs-Regeln ist keine Dauerlösung. „Hat die frischgebackene Mutter oder der frischgebackene Vater das Gefühl, dass seine Eltern ihn wieder in die Rolle des Kindes drängen, kann das nicht funktionieren“, gibt Claudia Hillmer zu bedenken. Mit einem einfachen Rat, der fast schon einer Formel gleicht, bringt sie es auf den Punkt: „Wenn die Beziehung zu meinem Kind gut ist, wird die Beziehung zu meinem Enkelkind von ganz alleine gut.“ Und das ist wohl die schönste Motivation überhaupt!


Im Interview mit Enkelkind.de: Familienberaterin Claudia Hillmer

Claudia Hillmer ist Familienberaterin nach dem Therapieansatz von Jesper Juul. Sie lebt mit ihrer Patchworkfamilie (Ehemann Jan und vier Kinder) im Hamburger Westen. Ihre Ausbildung zur Familienberaterin und Familientherapeutin hat sie am ddif (deutsch-dänischen Institut für Familientherapie) abgeschlossen.

Kontakt zu Claudia Hillmer: www.claudia-hillmer.de

 

 

Beitragsbild: ©biker3/stock.adobe.com

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