Platten und Polaroid: Plötzlich sind Opas Sachen wieder cool

Opa hat noch einen Plattenspieler auf dem Dachboden? Voll cool!

Schallplatten, Sofortbildkameras, Schreibmaschinen lagert etwas davon auch auf Ihrem Dachboden? Dann schnell runter damit: Bei Ihren Enkelkindern sind diese Dinge gerade angesagter denn je. Lutz Lungershausen ist Fachbuch-Autor und Kreativdirektor in Schleswig-Holsteins größter Werbeagentur. Mit ihm haben wir darüber gesprochen, warum alles wieder „cool“ wird, was früher schon einmal war. Und was die Sehnsucht nach ein bisschen Nostalgie mit unseren Gefühlen macht.


Der Retro-Trend ist der Gegenentwurf zum schnellen, permanenten Wandel.


 

Walther schmeckt der Kuchen. Viel besser aber ist das Unterhaltungsprogramm dazu: Er sitzt an der gedeckten Tafel und beobachtet voller Staunen das Geburtstagskind: So aufgeregt, so überdreht, so rundum glücklich ist seine Enkelin Sarah. Sie packt gerade ein großes, quadratisches Geschenk aus. Plötzlich schreit sie auf: „Eine Instax-Kamera! Die hab ich mir sooo gewünscht!“ Hektisch öffnet sie den Karton und drückt ihren neuen Besitz an sich. Walther lehnt sich zu ihr: „Was hast du da? Zeig mal!“ Stolz präsentiert Sarah die hellblaue Sofortbildkamera. „Achso. Polaroid. So eine hab ich auch noch irgendwo.“ Jetzt ist es Sarah, die vor Staunen den Mund nicht zubekommt.

Haben Sie auch noch eine Polaroid-Kamera auf dem Dachboden?

„Alles kommt irgendwann wieder“, sagt man. Tatsächlich lohnt es zurzeit besonders, Dachboden oder Keller nach alten Schätzen zu durchstöbern. Vor allem die ausgedienten Sofortbildkameras erfreuen sich einer ungebremsten Beliebtheit. Lutz Lungershausen, Autor mehrerer Kreativitäts-Fachbücher, weiß warum: „Wir haben uns heute daran gewöhnt, jeden Moment mit dem Smartphone festzuhalten. So ein Bild landet dann als eins von 3.000 irgendwo auf dem Speicher. Und wenn ich das Handy wegpacke, ist auch der Moment erst einmal weg. Beim Polaroid-Bild ist das anders: Ich halte sofort etwas in der Hand, spüre die Entwicklerflüssigkeit im Plastiksäckchen, erkenne nach und nach das Motiv, das langsam erscheint. Aus einer Sekunde ist ein Ereignis geworden, das ich in genau diesem Moment festgehalten habe. Natürlich hat das eine ganz andere Wertigkeit.“

Wertsteigerung durch Einmaligkeit

Ein Sofortbild-Film mit 10 Abzügen kostet heute rund 10 Euro. Bei einem Preis von 1 Euro pro Foto macht man sich schon Gedanken darüber, wann man auf den Auslöser drückt und wann nicht. Doch laut Lutz Lungershausen ist der Wert einer Polaroid-Aufnahme nicht nur an den Kosten bemessen: „Jedes Sofortbild gibt es genau einmal. Es ist nicht beliebig teilbar. Ich halte also ein Unikat in der Hand: einen Moment, den außer mir niemand festgehalten hat.“ Kein Wunder also, dass ein Jahrzehnte altes Foto, das wir heute beim Aufräumen finden, uns die Tränen in die Augen treiben kann: Anders als die heutigen digitalen Bilder ist es einmalig. Genau wie der Moment, den es abbildet.


Dinge zu sammeln bedeutet auch immer, schöne Erinnerungen zu sammeln.


Highlight für die Plattensammlung: Die drei ??? als Picture Vinyl

Ruht neben Ihrer alten Sofortbildkamera noch eine Plattensammlung? Dann wird es höchste Zeit, Ihre Enkelkinder zum Durchstöbern der Vinyl-Scheiben einzuladen: Die Verkaufszahlen von Schallplatten haben bereits vor einigen Jaren ein 25-Jahres-Hoch erreicht. Disc-Jockeys schleppen wieder vermehrt schwere Plattentaschen statt USB-Sticks herum. Neben dem Klang, der sich bei einer Schallplatte natürlich deutlich von dem digitalen Gegenstück unterscheidet, sieht Lutz Lungershausen in diesem Trend noch einen anderen wichtigen Faktor: den naturbedingten Drang des Menschen, Dinge zu sammeln: „Bestimmte Sammlerobjekte möchte man einfach besitzen, sich ins Regal stellen. Denn: Dinge zu sammeln bedeutet auch immer, schöne Erinnerungen zu sammeln. Gerade Musikstücke sind oft mit Momenten verbunden. Dann lege ich die Platte auf oder halte sie einfach nur in der Hand und denke Das war damals SO schön.

Zeit für Handschrift

Viel schöner als eine Email: echte Post

Der Retro-Trend bringt nicht nur Gegenstände zurück in die Gegenwart, sondern verleiht auch einer sehr persönlichen Angelegenheit Aufschwung: Die Handschrift ist wieder en vogue. Kalligraphie entpuppt sich als beliebtes Hobby, Lehrgänge fürs „Schönschreiben“ oder das sogenannte „Brush Lettering“ (das Malen von Buchstaben mit einem Pinsel) werden mittlerweile in jeder Kleinstadt angeboten. Und ein Lehrgang ist auch notwendig, wenn man es richtig machen möchte: „Kalligraphie ist unglaublich anspruchsvoll“, berichtet Lutz Lungershausen aus eigener Erfahrung. „Diese Kunst ist nur langsam zu lernen, man muss sich richtig reinhängen. Und selbst wenn man die einzelnen Buchstaben beherrscht, dauert es immer noch sehr lange, auf diese Art zu schreiben.“


Papier, Pinsel, Wasserglas: Wenn ich schreibe, habe ich echte Dinge auf dem Tisch.


Aber warum ist das Schönschreiben dann so beliebt? Wo es doch längst digitale Möglichkeiten gibt, eine schöne Schreibschrift auf schnelle Art zu erstellen? „Genau deshalb!“, meint Lutz Lungershausen: „Mit meiner Handschrift verleihe ich den geschriebenen Worten mehr Wert. Wenn ich einen Brief von Hand schreibe, verschenke ich auch die Zeit, die ich in ihn investiert habe.“ Zudem spielt auch hier die Haptik wieder eine große Rolle: „Wenn ich eine Karte von Hand schreibe, dann habe ich echte Dinge auf dem Tisch,“ erklärt der Buchautor. „Papier, Pinsel, Wasserglas, vielleicht Aquarellstifte. Das löst einfach ein anderes Gefühl aus als eine Computer-Tastatur.“ Und trotz aller digitalen Möglichkeiten ist auch das Ergebnis ein anderes: „Digitale Schriften sind immer zweidimensional. Wenn ich mit Stiften oder Pinseln arbeite, erhalte ich ein dreidimensionales Ergbnis. Ich kann mit dem Finger über die Schrift streichen und spüre die Erhebungen. Und: Ich halte ein Unikat in den Händen.“

Wann ist ein Trend ein Trend?

Einzigartigkeit, Persönlichkeit, Echtheit. Diese Faktoren scheinen den Retro-Trend auszumachen. Ist es wirklich so einfach? Lutz Lungershausen weiß, wann eine kurzzeitige Mode-Erscheinung zu einem langfristigen Trend wird und wie ein solcher entsteht: „Eine Mode-Erscheinung verschwindet in der Regel nach etwa zwei Jahren wieder. Trends bleiben länger. Oft haben sie Vorreiter und natürlich eine große Gruppe Nachahmer. So manifestiert sich ein Trend mit konkreten Handlungen und Objekten.“

Beim Retro-Trend ist beides gegeben. Der Retro-Trend ist der Gegenentwurf zum schnellen, permanenten Wandel“, erklärt der Kreativdirektor. Und bei den genannten Beispielen ist längst nicht Schluss: Wer aktuelle Einrichtungs-Zeitschriften aufschlägt, entdeckt auf jeder Seite Rattan-Möbel im 70er-Jahre-Stil. „Auch Schreibmaschinen feiern ein Revival“, ergänzt Lutz Lungershausen. Ein Blick auf den Dachboden oder in den Keller lohnt sich also: Wer weiß, welche Schätze bei Ihnen noch schlummern. Viel Spaß beim Stöbern!


Im Interview mit Enkelkind.de: Kreativdirektor und Buch-Autor Lutz Lungershausen

Lutz Lungershausen entwickelt hauptberuflich Ideen. (Ja, diesen Job gibt es wirklich!) Er ist Kreativdirektor der 50-köpfigen Werbeagentur New Communication, gibt Kreativitäts-Seminare und hält Fach-Vorträge. Aus seinen Einfällen und Gedanken werden neue Schriftarten, Unternehmens-Designs, Werbe-Kampagnen, Webseiten oder ganze Bücher. In denen schreibt er darüber, wie in jedem Kopf richtig gute Ideen entstehen können. Wenn es sein muss, auf Knopfdruck.

Lutz Lungershausens Bücher gibt es hier: mitp Verlag

 


 

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