Was Omas alles lernen dürfen

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Das Lernen hört erst mit dem letzten Atemzug auf, haben Hirnforscher nachgewiesen. Sybille Herold beschreibt in diesem Artikel, was das für uns Großeltern bedeuten kann.

Omas dürfen viel lernen: über sich, die Welt, Erziehung heute und über Familienbeziehungen

Als ich eine Oma geworden bin, habe ich nicht geahnt, welche Fülle an Entwicklungsaufgaben ich in den kommenden Monaten zu bewältigen haben werde. (Vermutlich und hoffentlich bin ich damit längst noch nicht am Ende angekommen.) Ich hätte es nicht für möglich gehalten, wie sehr sich mein gesamtes Weltbild sowie mein Bild auf mich, auf Kinder allgemein, auf Familie verändern würden. Angeregt dazu wurde ich durch meine eigene Familiengeschichte und natürlich durch das intensive Nachforschen, Zuhören, Lesen und Durchdenken beim Schreiben meines Buches. Ich bin jetzt 66 Jahre alt und hätte eine solche mich tiefgreifend verändernde Entwicklung nicht für möglich gehalten. Die sich im Übrigen auch auf alle anderen Lebensbereiche auswirkt.

Neue Rolle im Familiensystem

Selbst wenn die erwachsenen Kinder ausgezogen sind und auf eigenen Füßen stehen: Meist bleiben wir die Seniorpartner, die gefragt sind, wenn die erste Steuererklärung abzugeben ist, der Kuchen nicht so schmeckt wie Zuhause, die Fenster beim Putzen nicht klarwerden wollen oder die erste Zimmerdecke tapeziert werden soll. In nicht wenigen Familien bleibt die Beziehung zu den erwachsenen Kindern fast freundschaftlich. Trotz fester Partnerschaft. Das gilt besonders für Mütter und Töchter.

Mit der Geburt eines Kindes und dem Schritt von der Partnerschaft zur Familie ändert sich das häufig. Die junge Familie dreht sich von nun an und am Anfang besonders vor allem um sich selbst. Die jungen Eltern scheinen nun endgültig im Erwachsensein angekommen zu sein. In allen Fragen rund um das Kind sind sie jetzt die „Bestimmer“. Eltern eines Säuglings zu sein, ist anstrengend und füllt den Alltag vollständig aus.

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Kommt ein Baby zur Welt, verschieben sich die Rollen im Familiensystem

Es wundert also eigentlich nicht, wenn sich nicht wenige Großeltern da manchmal ein wenig abgemeldet, vernachlässigt und weniger gebraucht fühlen als zuvor. Wenn dann zeitnah das Arbeitsleben endet, haben einige den Lebensplan, die Lücke zumindest partiell durch die Enkelkinder zu füllen. Wenn das jedoch nicht gewünscht wird oder durch die Entfernung der Wohnorte nicht möglich ist, gilt es, für sich neue Lebensinhalte zu entdecken, damit sich nicht ein großes Loch im Erdboden auftut. Das Wiederentdecken alter oder die Suche neuer Hobbys („Was ich schon immer einmal tun wollte…!“) und die Suche nach Betätigungsfeldern, in denen sich Großeltern noch wichtig und gebraucht fühlen können („Was ich noch in die Welt bringen möchte…!“) steht dann an.

Abschied vom Besserwissen

Eine Falle kann darin liegen, den eigenen Selbstwert vorrangig darüber zu bestimmen, (fast) alles besser zu wissen. Gerade in der Kindererziehung könnte man meinen, ja schließlich schon mehrere Kinder „großgezogen“ zu haben und deshalb zu wissen wie es geht. Aber: Die Lebensbedingungen sind heute ganz anders als die in unserer „Erziehungszeit“. Die Erziehungsziele sind heute andere als damals, da Erziehung ja auf das kommende Leben vorbereiten soll. Und das sieht auch wiederum ganz anders aus. Erziehung ist vor allem Beziehung. Es ist kein Vorgang wie das Kochen: Man nehme x, tue y und erhalte z! Unsere jetzt erwachsenen Kinder sind ganz andere Menschen als wir. Unsere Enkelkinder sind ganz andere Persönlichkeiten als unsere Kinder es waren. Erziehungskonzepte sehen heute völlig anders aus. Und unsere Kinder wehren sich heute mit Recht gegen Bevormundung und Zurechtweisung durch uns, wenn sie auch noch so gut gemeint sein mag! Allemal ein Ratschlag, wenn er denn erbeten wurde, ist angebracht.

Alte – neue Erziehung

Es macht Sinn, sich einmal damit zu beschäftigen, wie sich Fachleute heute eine gelungene Erziehung vorstellen. Es beginnt mit dem Begriff der Erziehung. Reflektierte Eltern wollen heute ihre Kinder nirgendwo hinziehen, also nach ihren Wunschvorstellungen formen. Kinder werden heute viel stärker als Subjekt, also als ganz eigene Persönlichkeit mit eigenen Wünschen und Bedürfnissen gesehen. Wir heutigen Großeltern sahen in ihnen oftmals eher das Objekt unserer Erziehung. Heute steht eine gute Beziehung zwischen Kind und Eltern im Vordergrund. In Bezug auf die angestrebte Bedürfnisorientierung gibt es häufig Missverständnisse. Es geht eben nicht darum, nur die Bedürfnisse des Kindes im Blick zu haben und schon gar nicht darum, ihm postwendend alle Wünsche zu erfüllen. Ob die neuen Erziehungsansätze dazu führen werden, dass unsere Enkelkinder glücklicher, zufriedener und psychisch gesünder durch ihr Leben gehen werden, bleibt abzuwarten. Unsere erwachsenen Kinder sollten jedoch das Recht haben, eigene Wege zu probieren.

Manche Menschen denken: „Jetzt bin ich alt. Jetzt kann ich machen, was ich will. Ob es anderen gefällt oder nicht.“ Da esse ich eben mit meiner Enkelin zusammen die ganze Packung Kekse auf einmal. Oder ich tobe laut schreiend mit den Enkelsöhnen im Garten herum. Ich finde das bedenklich. Erstens sollte ich auf keinen Fall die Erziehungsziele der Eltern boykottieren. Zweitens sollte ich meinem Enkelkind nicht schaden. Und drittens bin ich tatsächlich der Meinung, dass Großeltern nach den Eltern und Erzieher*innen/Lehrer*innen wichtige Miterziehende sind. Zumindest durch ihre Vorbildwirkung.

Reflexion der eigenen Erziehung der Kinder

Vielleicht gibt es so häufig Streit zwischen Eltern und Großeltern um Erziehungsfragen, weil die Beurteilung der eigenen Erziehung immer mitspielt. Manche junge Eltern möchten tatsächlich alles anders machen als ihre Eltern, weil sie es als falsch einschätzen. Manchmal interpretieren Großeltern dies jedoch nur in die anderen Wege der Eltern hinein.

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Schön, wenn es so harmonisch läuft! Doch in vielen Familien gibt es Streit zwischen den Generationen

Ich empfinde es als Chance, noch einmal oder erstmals mit den erwachsenen Kindern in das Gespräch darüber zu kommen, wie sie ihre Kindheit und unsere Erziehung erlebt haben. Was ihnen gefallen, aber doch eher geschadet hat. Was ihnen nicht gefallen, aber eher genützt hat. Was für sie schwierig war, wo sie sich zu wenig gesehen, verstanden und respektiert gefühlt haben.

Ich würde heute als Mutter eine ganze Menge anders machen. Ich habe ein paar Schuldgefühle ihnen gegenüber. Aber ich weiß, dass ich mein Bestes gegeben habe. Ich wusste manches nicht besser. Und manches ging eben nicht anders. Es kann sehr verbindend sein, dies auch einmal auszusprechen! Es gibt keine perfekten Eltern und auch ihre Kinder müssen nicht perfekt sein, das kann sehr entlasten!

Toleranz und Respekt, Milde und Gelassenheit

Sie sollten für beide Seiten gelten. Alle Kritik sollte wertschätzend erfolgen. Spätestens jetzt können Menschen lernen, andere Meinungen zu akzeptieren und darauf zu verzichten, sie mit einem Urteilsstempel „richtig“ oder „falsch“ zu versehen. Meist ist an beiden Positionen etwas dran. Sachverhalte zwischen Menschen und in menschlichen Belangen sind eh meist so komplex, dass niemand sie vollständig überblicken und durchschauen kann. Wenn überhaupt kann erst nach längerer Zeit entschieden werden, ob ein Verhalten die bestmögliche Wahl gewesen ist oder eher nicht. Menschen machen ab und an Fehler. Alle. Das schadet auch Kindern, von wenigen Ausnahmen abgesehen, nicht.

Das gilt auch und besonders den (nicht so geliebten) Schwiegertöchtern und -söhnen gegenüber! Wir müssen diese nicht lieben, jedoch als gewählte/n Partner*in unserer Kinder und als Schöpfer*in unserer tollen Enkelkinder schätzen und achten.

Nicht einmischen

Es ist und bleibt eine Gratwanderung: Ich sollte mich als Oma/Opa nicht schweigend aus allem heraushalten, wie es etliche Großeltern tun. Ich darf also (wohl dosiert bitte!) über meine Beobachtungen und Bedenken sprechen. Ich darf hoffen, dass mein Gegenüber diese als Argumente bei seinen Entscheidungen und Kursfestlegungen mitberücksichtigt. Ich sollte nicht beleidigt reagieren, wenn diese dann nicht meinen Vorstellungen entsprechen. Ich darf Wünsche äußern. Ich sollte jedoch nicht erwarten, dass diese immer erfüllt werden (So ist das eben mit Wünschen!). Ich sollte diese auch nie vor den Enkelkindern äußern, sondern immer in einer der wenigen ruhigen Minuten mit den Eltern.

Veränderte Beziehung zu den eigenen Kindern

Es wird eine ganze Weile dauern, bis die Tochter/der Sohn wieder aus der Babyblase auftauchen und wieder offen für Gespräche über Pampers, Frühförderung und Schlafbegleitung hinaus sind. Vielleicht werden diese trotzdem zu einer Rarität, da es Vier- oder Sechs-Augen-Gespräche kaum noch geben wird. Lange sind unsere kleinen Enkelkinder immer mit dabei und brauchen Aufmerksamkeit und Zuwendung. So werden wir meistens zunehmend weniger über die Innenwelt unserer Kinder erfahren. Und wir werden auch ein abnehmendes Interesse der Kinder an unseren Innenwelten registrieren müssen. Das ist nicht immer so, aber offenbar sehr häufig.

Kommunikation und Konfliktlösung

In allen geschilderten Lernbereichen braucht es eine gute Kommunikation miteinander und eine gut entwickelte Fähigkeit, mit Konflikten umzugehen und Kompromisse zu finden. So wundert es nicht, wenn so manche Großeltern quasi nachsitzen und sich nochmals oder erstmals mit Kommunikationspsychologie und Konfliktmanagement beschäftigen.

***

Ich denke inzwischen, dass die Bereitschaft für dieses Lernen eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass ein lebendiges Miteinander zwischen Enkelkindern, Eltern und Großeltern gelingt. Diese Lernerfahrungen sind manchmal schmerzlich. Oft anstrengend. Aber gleichzeitig eine Chance für uns. Lernen hört eben tatsächlich erst mit dem letzten Atemzug auf, wie die Hirnforscher nachgewiesen haben. Lass dich darauf ein. Der Lohn ist hoch!


Fotos: fizkes/shutterstock.com (3)

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